Heiter in der Selbstständigkeit
Mehr und mehr Menschen entscheiden sich dazu, von zu Hause aus zu arbeiten. In der UK schätzt man sogar, dass im Jahr 2020 sogar mehr als die Hälfte aller Berufstätigen dem typischen Bürojob ade sagen und “remote” arbeiten werden. Das ist alles schön und gut, aber laden wir so nicht mehr Langeweile, Isolation und vielleicht sogar mehr Selbstzweifel in unser Leben ein?
Ich bin seit letzten Jahr als Freiberufliche tätig und muss sagen, dass ich das Leben ohne Büro-Politik und mitgebrachte Lunches sehr genieße. Was ich allerdings schon vermisse, sind ein geregelter Arbeitsablauf und KollegInnen, die mir Kekse mitbringen - vor allem, wenn ich kurz vor einer Deadline stehe und ich deshalb gestresst bin.
Wie alles im Leben ist die Selbstständigkeit etwas, dass erst mit der Zeit Früchte trägt und deshalb ist Geduld absolut undenkbar. Damit man besser damit klar kommt und alles mit etwas mehr Heiterkeit sehen kann, habe ich ein paar Tipps für euch:
Genieße deine Freiheit
Viele, die ihren Job verlassen, wissen, dass die neu gewonnene Freiheit überwältigend sein kann. Die Stunden, die einem auf einmal zu Verfügung stehen, bringen ein Gefühl der Unruhe und Ungewissheit. Was soll man mit der freien Zeit machen?
Nachdem ich meine letzte Anstellung gekündigt und den ersten Tag von zu Hause aus arbeitete, setzte ich mich um 8 Uhr morgens an meinen Schreibtisch. Um 13 Uhr bereitete ich mein Mittagessen vor und um 18 Uhr machte ich Feierabend. Den ganzen Tag über, hatte ich nicht das Haus verlassen und es war genauso, wie im Bürojob, den ich gerade aufgegeben hatte. Das einzige, was fehlte, war der tägliche Spaziergang zum Supermarkt - und was neu war, waren Gewissensbisse, weil ich mich nicht um die Hausarbeit kümmerte. Ich fühlte mich niedergeschlagen.
Im selben Moment wurde mir allerdings bewusst, dass ich mir meine Zeit selbst einteilen konnte. Ich war niemanden Rechenschaft schuldig und dieses Bewusstsein war befreiend. Der darauffolgende Tag war anders - ich nahm frei.
Mein Wecker war ausgeschaltet und als ich aufwachte, packte ich meine Schwimmsachen und machte mich auf den Weg zum Freibad, um ein paar Längen zu schwimmen. Am Weg zurück blieb ich am Delikatessen-Laden stehen, um Zutaten für ein frisch zubereitetes Lunch zu besorgen. Meine Emails checkte ich erst am Abend. Warum? Weil ich es konnte. Es war zum ersten Mal seit meiner Schulzeit, dass ich meinen Wecker nicht stellen und keinem vorgegeben Stundenplan folgen musste - und ich verspürte dieses ungemeine Gefühl von Zufriedenheit.
Sich auf die neue Freiheit einzulassen, wird dein Leben ändern. Klar, du wirst immer wieder mal Zeit für Meetings, Telefongespräche und Familienangelegenheiten einplanen müssen, aber der Rest deiner Zeit gehört nur dir. Wunderbar, oder?
Routine ist alles
Wenn ich gefragt werde, wie die ersten Monate als Freiberufliche für mich waren, lautet meine Antwort meist nur: „Frei von allen Regeln”. Das meine ich aber im vollkommen positiven Sinne, denn um herauszufinden, wann genau ich am kreativsten und vor allem produktivsten bin, musste ich ein zunächst experimentieren.
Das bedeutete, dass ich an einigen Tagen bis 2 Uhr früh wach blieb, um Netflix zu schauen und dann am nächsten Tag erst wieder um 14 Uhr mit der Arbeit begann. An anderen Tagen stand ich um 6 Uhr früh auf, um spazieren zu gehen, wenn sonst noch niemand wach war, und erledigte meine Arbeit gleich danach. An manchen Wochenenden habe ich komplett durchgearbeitet, an anderen gar nicht. Ich hab am Schreibtisch gearbeitet, aber auch am Sofa, wenn mir danach war. Telefongespräche mit AuftragegeberInnen nahm ich spät am Abend entgegen, anderen gab ich die Möglichkeit früher bei mir anzurufen.
Wenn ich es anders gemacht hätte, würde ich wahrscheinlich heute nicht wissen, was am besten für mich und meiner Arbeitsweise ist. Die besten Momente meiner “Experimentierphase” waren die, die mich überrascht haben. Ich dachte immer, dass ich eine Frühaufsteherin wäre, die normalerweise immer als Erste bei einer Party nach Hause geht und am Wochenende als Erste aus dem Bett springt. Die Selbstständigkeit hat mir allerdings gezeigt, dass ich die besten Ideen zwischen 22 Uhr und 1 Uhr in der Früh habe. Interessant, oder?
Ich bin von Natur aus introvertiert und dachte, dass lange und einsame Tage zu Hause ein Segen für mich wären. In einem Café zu sitzen und meine To-Do-Liste umringt von anderen Menschen und Geräuschen einer Kaffeemaschine abzuarbeiten, erschien mir hingegen wie ein Albtraum. Ich war total überrascht, als ich eines Tages in einem Bistro landete und dort mit Leichtigkeit meine Tasks erledigen konnte. Das Getümmel dort war motivierend für mich und sobald ich jetzt wieder die Gelegenheit bekomme, in einem Café zu arbeiten (und dabei eine heiße Schokolade zu trinken), greife ich zu.
Wenn du gerade erst selbstständig geworden bist, schreibe in einem Notizbuch nieder, was gut getan hat und wann du am besten arbeiten konntest (oder nicht) - es wird dir dabei helfen, die perfekte Routine für dich zu finden. Teste auch, wie es sich anfühlt, wenn du überhaupt keine Routine hast. Das Resultat werden Arbeitszeiten sein, die 100 % auf dich, deine Fähigkeiten und deinen Lebensstil abgestimmt sind.
Halte dein “Warum” vor Augen
Die ersten Monate in der Selbstständigkeit brachten mehr Arbeit als erwartet, es schien nicht mehr aufzuhören mit den Dingen, die ich erledigen musste. Es fühlte sich so an, als würde ich lediglich arbeiten, schlafen gehen, arbeiten, schlafen gehen usw. Ich war erschöpft.
Dann fiel mir ein, wie ich mich in meiner letzten Anstellung gefühlt hatte. Das endlose Getratsche, Meetings, wo man auf keinen gemeinsamen Nenner kam, immer wieder dieselben Geschichten von ArbeitskollegInnen erzählt zu bekommen, obwohl man nicht danach gefragt hat. Ich konnte auf keinen Fall mehr zurück gehen. Plötzlich war ich ungemein dankbar - und genau diese Gefühle Dankbarkeit lasse ich wieder aufkommen, wenn ich mal nicht so motiviert bin.
Ganz egal, ob du dich der Umwelt wegen, aufgrund flexiblerer Zeiten oder anderen Gründen für die Selbstständigkeit entschieden hast, es ist wichtig, dass du dir diese immer wieder vor Augen hältst - vor allem, wenn du viel zu tun hast, aber auch wenn es vielleicht mal zu ruhig ist.
Wenn du mit einer Visionstafel arbeitest, vergewissere dich, dass darauf auch ein Part für deine Selbstständigkeit von zu Hause aus zu finden ist. Es ist nicht wichtig, dass dein Arbeitsumfeld instagrammäßig aussieht, es geht mehr darum, dass du endlich Zeit dafür hast, mit deiner Mutter auch an einem Mittwoch Kaffee zu trinken. Wenn du deine Gedanken und Wünsche lieber niederschreibst, mach dir jeden Tag ein paar Notizen: drei Dinge, die mit der Selbstständigkeit einfacher ist. Als ich das im letzten Winter während einem Schneesturm machte, fielen mir ganz einfach mehr als drei Dinge ein :).
Die Wichtigkeit deiner “Online Community”
Viele, die von zu Hause aus arbeiten, verwenden die Online-Welt, um mit der “richtigen Welt” in Kontakt zu bleiben. Social Media erlebt im Moment zwar einen kleinen Rückgang, aber es ist wichtig nicht zu vergessen, warum und wie es begonnen hat: Es geht um Gemeinschaft und das Vernetzt-Sein.
Ich (und andere) brauche/n Social Media, um Gespräche bezüglich der Arbeit zu führen, für Inspiration und soziale Kontakte, die ich früher in meinem Bürojob hatte. Es hilft mir zudem, mit anderen in Kontakt zu gelangen, denen ich mit meiner Arbeit helfen kann.
Du kannst Social Media natürlich auch verwenden, um Leute offline kennen zu lernen. Wenn du z.B. zu einem Workshop vom dem Life-Coach, dem du folgst, gehst oder am Pop-up Event deines Lieblingsmagazins teilnimmst, triffst du wahrscheinlich auf Menschen, die ähnlich ticken wie du. Oder wenn jemand denselben Job macht, wie du, frag ihn doch mal, ob er/sie mit dir zu Mittag essen möchte. Diese Verbindungen mit gleichgesinnten (oder vielleicht auch weniger gleichgesinnten) Menschen sind notwendig, um in deinem Arbeitsalltag von zu Hause aus, heiter zu bleiben.
Von zu Hause aus - das neue normale Arbeitsleben
Traditionelle Bürojobs werden weniger, immer mehr Menschen entschließen sich von zu Hause aus zu arbeiten. Sie sehen die Selbstständigkeit als Chance, um eine richtige Work-Life-Balance zu erzielen. Sie sehen als Glück. Ein Glück, das den eigenen Laptop beinhaltet - und die Wäsche, die jetzt auch tagsüber gewaschen werden kann (aber den Teil erwähnen nicht viele).
Worte: Abi Rose - Abi Rose ist Autorin und Marketing Consultant. Sie arbeitet und lebt im wunderschönen Peak District, England.
Abis Webseite: https://www.abirose.co/
Abis Instagram-Konto: https://www.instagram.com/iamabirose/
Übersetzung aus dem Englischen: Katharina Geißler-Evans, heiter magazine